So etwas wie eine Muttersprache ist ein sehr facettenreiches Gebilde. Physiker und Mathematiker sprechen bei so etwas von einem komplex dynamischen System. Dieser Begriff impliziert die Offenheit eines Systems, allerdings auch die Unmöglichkeit, das Morgen aus dem Gestern herleiten zu können. Solch ein System kann Jahrhunderte lang stabil sein, dann aber aus 'unwesentlichen' Gründen an irgend einer Ecke instabil werden, um dann ganz plötzlich in sich zusammen zu stürzen. Dann gibt es das System nicht mehr.
Die Muttersprache ist so ein System.
Sie ist immer gebunden an eine bestimmte Population von Menschen, die sie praktiziert.
Sprache praktizieren (sprechen) heißt für das Individuum zunächst, sie zu lernen. Dieser Vorgang spielt sich in unserem Kulturkreis im Vorschulalter ab, und zwar völlig unterschwellig. Sprechen wird nicht bewußt und aktiv von den 'Vorbildern' vermittelt, sondern es wird ganz einfach und ohne Anstrengung eher auf Initiative der Lernenden imitiert.
Das zeigt einerseits, wie elemantar wichtig Sprechen im bio-sozio-kulturellen Zusammenhang sein muss, allerdings auch, wie leicht angreifbar das System ist. Es genügt ein Mangel an Vorbildern, um dieses System instabil zu machen.
In dieser Situation sind wir momentan.
Fernsehen nützt da nichts. Die zum Lernen notwendige Interaktion fehlt. Was man beim frühen Sprechenlernen nicht an Repertoire erwirbt, wird man später beim Lesen oder Fernsehen gar nicht verstehen können. Es geht an einem vorbei. Ich meine damit nicht inhaltliche Fragen, sondern das Verständnis der grundlegenden, wie soll ich sagen? Struktursemantik.
Nurmalsodahingedacht
Sprache kann leicht zum Selbstzweck werden: Wie räume ich die gerade durch unbewusste Mehrdeutigkeit erzeugten Missverständnisse (ohne neue zu erzeugen) wieder aus?